Mittwoch, 22. Januar 2020

Nur die Harten rauchen im Garten

OK, ich weiß. Ja ich weiß. Wirklich. Es hat 'ne Weile gedauert, das sehe ich ein. Viel Zeit ist vergangen, wir alle sind älter und hässlicher geworden. I get it. Aber lasst uns das einfach vergessen, liebe Leserschaft. Denn meine Geschichten sind ja immer noch die selben. Kein bisschen gereift und immer noch dümmlich, profan und witzig wie eh und je.
In Ordnung?
In Ordnung.

Also:

Unseren Gärtner konnte ich ursprünglich überhaupt nicht leiden. Das lag vielleicht daran, dass ich das Gefühl hatte, er könne MICH nicht leiden. Ich weiß es nicht, aber irgendwas war im Busch. Manchmal war er es.
Bis heute weiß ich auch nicht, ob sein Name Rong, oder aber Long war. Das war deshalb schwierig, weil die Thais ein L gerne zu einem R machen, und auch umgekehrt. Deswegen wurde aus Roger "Loger". 
Ein markantes, trocken-kehlig geröcheltes Rrrrr, wie es so gern aus dem deutschen Rachen kommt gibt es im thailändischen nicht (dem Himmel sei Dank) und auch ein weiches, englisches R wie in "Rocket" können sie nicht problemlos aussprechen. Ganz einfach, weil es in ihrer Sprache nicht vorhanden ist, und sie es nicht gebrauchen. Uns Westlern fällt es schließlich auch schwer, viele der Vokale und Konsonanten der thailändischen Sprache auszusprechen. Mir zwar nicht, aber euch schon.
Ich kann das.
Naja, also ob er nun Rong oder Long oder Shlong hieß ist ja auch völlig Wurscht, aber wann immer sein Name ausgesprochen wurde, wurde ein "Lung" vorn angehangen. Lung bedeutet Onkel.
Lung Rong.
Oder aber Lung Long.
Alles geht, Leute.
Jetzt haben wir das geklärt und ich werde ihn fortan Lung Rong nennen.

Lung Long arbeitete ruhig und schweigend vor sich hin, Tag ein und Tag aus. In dieser Geschichte soll es aber gar nicht unbedingt darum gehen, was wir so für tolle Sachen gebaut haben, sondern eher, wie wir uns kennengelernt haben und Freunde wurden. In meinen vorherigen Geschichten wurde er ja bereits erwähnt, doch nun geht es um den Anfang aller Dinge. Um den Urknall der Gartenfreundschaft sozusagen.

Lung Rong ignorierte mich buchstäblich. In meiner Anfangszeit habe ich ihn viel beobachtet; Es gab einfach tagsüber nichts zu tun. Die Mädchen waren alle in der Schule und es war ruhig und öde. Nur er war kontinuierlich am werkeln - seine fetten, selbstgedrehten Zigarren, die an riesige Joints erinnerten, stets im Mundwinkel. Seine Figur war sehr mager, seine Haut dunkel und sonnengebräunt und ich fragte mich ständig wie er nur die Kraft aufbringen konnte, permanent zu arbeiten. Vor allem bei dem Wetter. Ich saß unterm Dach mit meinem Kaltgetränk und kam nur vom Zugucken ins schwitzen.
Aber ich wollte auch nicht nutzlos sein. Oder zumindest nicht so wirken. Da liegen Welten zwischen.
Anna und Mickey warfen ja bereits ein Auge auf mich, also entschied ich mich für das einzig richtige, setzte mein kühles Getränk ab, schaltete den Ventilator aus und lief hinaus in den sonnigen Garten. Nach zwei Schritten in der Sonne fühlte ich mich bereits wie ein Zwieback aber ich lief zu ihm, trotz Sprachbarriere, und sagte ihm Hallo.
Lung Long klopfte mit irgendwas auf irgendwas anderem rum und ignorierte mich einfach. Er sah mich nicht mal an. Nicht mal ein Danke dafür, dass meine massive Gestalt ihm etwas Schatten spendete. Ich empfand das als bodenlose Frechheit.
Pampig und leicht in meiner Ehre gekränkt lief zurück in den Schatten und rieb mir die Hände. So nicht, Lung Rong... so nicht...
Am nächsten Tag wollte ich die Sache anders angehen lassen. Ich wollte erst mal ein paar Informationen sammeln, bevor ich ihn wieder bei der Arbeit besuchte.
Also ging ich zu Anna und fragte sie ein wenig aus.
"Ach, er mag also keine Ausländer." wiederholte ich langsam und gedankenverloren.
"Ja, habe ich doch gerade gesagt", sagte sie.
Er mag keine Ausländer.
"Hat er denn mit keinem zuvor geredet?" fragte ich und schüttete ein paar mehr Eiswürfel in mein Wasser.
"Nö", sagte sie.
"Er meidet eigentlich alle, die hier hausieren, und macht nur seine Arbeit. Er hat für Farangs nicht viel übrig."
"Du alter Rassist!" dachte ich mir nur und kniff die Augen zusammen.
"Monsieur Rassisti. Aber nicht mit mir, Freundchen. Du wirst mich mögen, koste es, was es wolle!"

Ich änderte meine Strategie. Anstatt ihn zu beobachten und vor seiner Nase köstlich kühles Wasser zu genießen schritt ich zur Tat. Aus unserem kleinen, offenen Küchenbereich holte ich eine Flasche und machte mich auf den Weg durch die Sahara. Verschwommen nahm ich seine dürre Gestalt war und zweifelte mit jedem weiteren Schritt an meinem eigenen Verstand. Dann, nach etwa 40 Sekunden Gehweg aus der Küche erreichte ich ihn.
"Hier, bitte."
Ich stellte die Flasche neben ihn. Er hämmerte weiter.
Er.
Hämmerte.
Weiter.
Ohne aufzublicken, ohne Dankeschön, ohne irgendwas. Er ignorierte mich, genau wie zuvor. Unmögliches Verhalten, echt. Unmöglich. Was musste ich ihm bringen, damit er mich beachtete? Weihrauch? Gold? Mohrrüben?
Ich war mit meinem Latein am Ende, und mit meinem Thai noch viel zu weit am Anfang. Ich zog mich zurück in die Dunkelheit... gelangweilt, frustriert, verletzt.
Einige Tage vergingen. Ich saß mal wieder rum; Ventilator auf Nummer vier, in meiner kühlen, schattigen Ecke, Schal und Mütze parat.
Ich beobachtete ihn.
Jeden Hammerschlag.
Jede Armbewegung beim Sägen.
Jetzt wo ich so darüber schreibe wird mir klar, warum er das vielleicht nicht unbedingt gemocht hat. Hm.
Naja, ich wollte jedenfalls während des Beobachtens eine rauchen, doch dann - das Dilemma. Keine Ziggis mehr am Stizzle. Scheiße...
Aber Rung Rong rauchte doch stets diese dicken, saftigen Zigarren... Oder was auch immer sie waren.
Hmmmm...
Ich fasste den Entschluss, ihn noch ein Mal aufzusuchen. Die Dinger sahen schließlich interessant aus und waren genau das, was ich jetzt probieren wollte. Etwas neues und ungewöhnliches. Etwas, über das man in naher - und auch ferner - Zukunft Geschichten schreiben konnte. Der letzte Versuch zur Kontaktaufnahme wurde gestartet.

Ich lief zu ihm während er rauchte. Die grüne, Joint-artige, riesige Zigarre ragte wie eine seitlich liegende Pyramide aus seinem Mund hervor. Unablässlich blies er Rauch in die Luft, aber ich kämpfte mich durch den dicken Schleier, und zog den grauen Vorhang dann symbolisch auf.
"Lung Long!" rief ich.
Eine verzögerte Reaktion. Ein Zwinkern. Dann geschah das Undenkbare. Er drehte sich zu mir um und sah mich an. Sein Gesicht wirkte zerknautscht, seine schwarzen Haare glänzten in der Sonne. Er nahm einen weiteren Zug und für einen kurzen Moment sagte keiner von uns etwas.
Ich ergriff die initiative.
Ich zeigte auf seine "Zigarette" und fragte ihn.
"Sue Tinai?" (soviel wie: Wo hast du das gekauft?)
Aus müden Augen heraus sah er mich an, und dann... das UNGLAUBLICHE!
Er nuschelte irgendwas zurück und hob die grüne Pyramide empor. Ich stellte fest, dass er doch tatsächlich lächelte!


Nicht mein eigenes Bild (ich habe leider nie eins gemacht) aber dieses kommt der Sache wirklich sehr nah


Ich verstand circa Null Prozent von dem was er mir antwortete. Das lag wohl an der Abwesenheit von Zähnen, stellte mein Detektiv-artiger Verstand instinktiv fest. Tatsächlich hatte er nur einen einzigen sichtbaren Zahn - der Rest seines Munds sah aus wie eine Gummi Höhle.
Während ich all diese Feststellungen machte, schien der Gärtner weiterhin amüsiert über meine Auffassung, das man diese Zigaretten/Zigarren irgendwo käuflich erwerben konnte. Ich meine, mich an ein hysterisch hervorgebrachtes "Mai Sue!" seinerseits zu erinnern. Oder ein zahnloses "Mai Schue!" (zu deutsch: Nicht gekauft!). So in der Art.
Er richtete sich - immer noch sichtlich amüsiert über diesen dummen Farang mit seiner dummen Frage - auf und bedeutete mir mit einer Handbewegung ihm zu folgen. Und ich tat es. Schließlich wollte ich ja rauchen. Und hätte er mich zu einem Van geführt auf dem "Candy" steht wäre ich eingestiegen.
Er brachte mich allerdings zu keinem Van, sondrn zu seinem alten Klappergestell von Moped. Rot, rostig, wackelig, instabil. Alles Wörter mit denen man auch Rung Long hätte beschreiben können, wenn man die Farbe weglässt.
Mit gekrümmtem Rücken wies er den Weg, und als wir sein Streitross erreichten griff er in den Korb vorm Lenker und holte eingewickelten Tabak hervor. Ich lugte mit skeptischen Augen ins Körbchen und entdecke auch ein paar Bananenblätter.
Dann machte Lung Rong eine Handbewegung, die fürs "Rollen" stehen sollte.
"Rollen du Idiot, ich rolle sie selber"
Er nahm etwas Tabak, breitete ihn auf ein getrocknetes Bananenblatt aus und rollte alles zusammen zu seinem Möchtegern-Joint.

Beide klapprig

Er zündete sein Werk an und nahm einen Zug. Mit einer Zwei-Finger Geste die in keiner Art und Weise falsch interpretiert hätte werden können, bedeutete ich ihm, dass ich gern mal ziehen würde.
Rung Rong lachte erneut, dann reichte er mir die Zigarre. Tja, und was soll ich sagen. Das war exakt der Moment an dem wir Freundschaft schlossen.
Die Friedenspfeiffe zwischen Farang und Thai. Wortlose Verständigung und das Teilen von gemeinsamer Sucht. Ein Moment für die Geschichtsbücher.

Seit diesem Tag an waren wir Kollegen und Freunde. Wie Brüder. Er nahm mich unter seine Fittiche und brachte mir alles bei, was man so wissen musste. Man kann beinahe sagen, dass ich sein Lehrling wurde.
Er zeigte mir wie man mit Bambus arbeitete, diesen spaltete, ihn glättete und anschließend verbaute. Wir fällten Bäume und errichteten gemeinsam ein Pavillon für die Kinder. Wir hoben Gräben aus und verlegten Rohre. Endlich fühlte ich mich nützlich, und diese positive Entwicklung fiel auch Anna und Mickey auf.




In der Mittagspause nahm er mich oft auf seinem Moped mit und wir aßen Nudelsuppe im Dorf. Gut und günstig war das, gut und günstig.
Anschließend parkten wir wieder in unserem Garten, unter den wunderschönen Rosenapfel Bäumen; Das ist das eine Bild, das ich immer mit Lung Long verbinden werde. Sein rotes, klappriges Moped geparkt unter den wunderschönen, grünen Bögen der Rosenapfelbäume.
Bis wir diese dann schlussendlich vernichten mussten.
Der Platz wurde gebraucht für neue Gebäude, die in naher Zukunft errichtet werden sollten.
Es war schade, aber machte auch Sinn.
Und was für eine Arbeit das war... Problematisch war hierbei nicht der körperliche Aspekt, nicht die Anstrengung oder die Hitze. Nein, nein!
Es waren die drecksverdammten roten Ameisen.
Die beißenden, roten Ameisen die sich gerne Nester in den Bäumen bauten, indem sie (wie auch immer) mehrere Blätter des Baumes zusammenklebten wie eine riesige Kugel.
In diesem Fußballgroßen Nest befanden sich dann ihre Eier (die auch als Delikatesse für guten Preis gehandelt wurden). Außerdem liefen hunderte der riesigen, roten Ameisen auf den Ästen der Bäume umher die dann bei jedem Hieb mit der Machete auf einen hinabregneten, als wäre es schon wieder Rainy Season.

Village People 

Wenn so eine handvoll Ameisen dann erstmal auf einen gefallen war, machten sie es sich sofort zur Aufgabe unter jedes Hemd und in jede Ritze des Körpers zu kriechen, um dann ihre gewaltigen Zähne in mein zartes, jungfräuliches Fleisch zu senken.
Und das zwackte gewaltig.
Mein Village People Outfit wurde schnell ersetzt. Sicherheit und Safety Standards waren nicht mehr angebracht. Je weniger man am Leibe trug, desto weniger Stellen gab es für die roten Monster sich zu verkriechen.
Ich verbrannte mein Shirt und rasierte mir die Brust. Keine Macht den Ameisen. Ich gab ihnen keine Versteckmöglichkeit mehr und es funktionierte tatsächlich. Sie prallten von meinen Muskeln ab wie Ping Pong Bälle von der Platte. Huiiiii, flogen sie in sämtliche Richtungen.
Aber... einige schafften es dennoch.
Ein Mal kam es tatsächlich zu einem Arbeitsunfall. Ich muss allerdings zugeben, dass ich mich auch wie der letzte Affe angestellt habe.
Ein sonniger Tag.
In der rechten Hand führe ich gerade die Machete, die das Tageslicht wie einen Blitz in der Mittagshitze reflektiert, als ein stechender Schmerz im linken Bein mich überrascht. Ein Ameisenbiss! Dios Mios!
Refexartig (und offensichtlich ohne wirklich nachzudenken) schlage ich mit der Machete zu, ehe mir einfällt, dass es sich ja um mein eigenes Bein und nicht etwa einen Baumstamm handelt. Auch wenn sich die beiden natürlich stark ähneln. Ich tu also das einzig logische um mein Baumbein zu schützen, und opfere meine Hand.
Zack, war der Finger entzwei. Schockstarre. Wer Kill Bill kennt kann nur erahnen, wie das Blut spritzte. Fontänenartig!
Und da ich nicht zur Übertreibung neige, könnt ihr mir das glauben!
Ich tat das einzig richtige, was man in der Situation nur tun konnte. Ich drückte meinen Finger fest mit der anderen Hand zusammen, um das Blut zu stauen. Dann richtete ich ihn langsam gen Boden, lockerte den Griff und benutzte den herausspritzenden Blutdruck um um mich in die Luft zu katapultieren. So flog ich dann ins nächste Krankenhaus, wo ich anschließend genäht wurde.

Kein Thema, kurz genäht und weiter

Zurück musste ich dann natürlich laufen, aber das war kein Problem. Nachdem ich jubelnd in Empfang genommen wurde, ging die Arbeit wie gewohnt weiter. Tag ein, Tag aus.

Lung Long und ich waren mittlerweile so gut befreundet, dass wir uns gemeinsam über nachfolgende Freiwillige lustig machen konnten. Meistens zeigte er auf jemanden, nuschelte dann und fing an zu lachen. Und ich lachte dann über ihn, weil ich keine Ahnung hatte, worum es eigentlich ging.

Und auf ein Mal genoss er das alles. Mochte den Kontakt, lachte viel und versuchte tatsächlich mit den Neuen zu reden. Es war unglaublich, wie er sich nach ein paar Wochen und Monaten verändert hatte. Er blühte förmlich auf und sein zahnloses Lächeln wurde breiter und hohler mit jedem Tag.
Ich erinnere mich daran, wie er an einem Samstag Morgen unangekündigt und wie aus dem Nichts vor meinem Fenster stand. Es war sein freier Tag und trotzdem war er da und rief nach mir.
"Loger, Loger!"
Ich blickte auf und war arg verwundert. Es war schließlich der einzige freie Tag, den er hatte. Und offensichtlich wollte er den mit mir verbringen. Verwunderlich war es schon, aber ich entschied mich dafür mit ihm zu gehen.
Wir cruisten gemeinsam durchs Dorf, aßen Nudeln und tranken Whiskey in den kleinen Bars, die tagsüber geöffnet hatten. Wir verbrachten den ganzen Tag gemeinsam und hatten viel zu viel Spaß für zwei Menschen, die sich eigentlich nur mit Hand und Fuß verständigen konnten.
Auf dem Rückweg fuhr ich dann seinen Roller; Mit ihm als Fliegengewicht im Gepäck. Wir waren zwar etwas betrunken, aber ich vertraute mir selber mehr als ihm. Er kam des öfteren ins Schwanken, wenn er mit dem großen Europäer auf dem Rücksitz anfuhr und machte nicht den Eindruck, als könnte er uns im Notfall auf der Kiste halten. Seine Streichholzbeine sahen aus, als würden sie bei jedem Absetzer an der Ampel brechen. Also fuhr ich.
Durch die erhöhten Wege der Reisfelder machten wir unsere Runden, und als mein Vorderrad in einer Kurve gefährlich nah - und ich weiß nicht wie sehr ich das Wort gefährlich (!) hervorheben kann - der Böschung entgegen kam, gab es nur ein schreckhaftes "OH!" von hinten. Dann lachte Rung Rong sehr laut. Ich fuhr weiter und lachte mit. Wir sind nur haarscharf einem Unfall entkommen, der uns runter ins Reisfeld befördert hätte. Wir wussten es beide. HAARSCHARF.
Witzig, witzig.
Am frühen Abend brachte er mich dann zu den lokalen Nashornkäfer Kämpfen. Ja, wirklich! Er selbst hatte auch einen. An einem Stück Zuckerrohr war er befestigt mit einer Schnur um sein Horn damit er nicht weglaufen konnte. Und er nagte und nagte.
Lung Rong erklärte mir die Regeln, die ich aber bis heute nicht verstanden hab.
Auf einem erhöhten Baumstamm saßen sich Gegenüber zwei Teilnehmer mit ihren Käfern. Diese wurden dann auf dem Stamm losgebunden und aufeinander gehetzt. Angetrieben wurden sie durch ein kleines Stäbchen, mit dem das "Herrchen" rollende Bewegung auf dem Stamm erzeugte, die den Käfer irgendwie vorantreiben sollten. Die Käfer hoben sich dann in die Luft und irgendwie wurden Punkte verteilt. Manchmal wurde ein Käfer regelrecht in die Luft geschossen, wenn er vom Horn des anderen gehebelt wurde.
"OH!" machte Lung Long dann wieder und war begeistert.
Natürlich konnte man auch wetten und sich einen kleinen Extrataler für die Karaokebar verdienen. Ob Lung Rong je selbst an einem der Kämpfe teilgenommen hat weiß ich leider nicht. Aber einen Nashornkäfer hatte er trotzdem. Er liebte diese Events! Und ich auch.
Einfach alles, was er mir an diesem Tag zeigte, war interessant.
Und dann irgendwann kam ich wieder bei mir zu Hause an.
Ich wurde angemeckert, weil ich eigentlich Pflichten hatte. Sollte dies und das tun. Wochenende, Unterricht, bla, bla, bla.
Ich fand den Tag so, wie wir ihn verbracht hatten aber viel lustiger. Habs auch nie bereut.

Und so verging die Zeit.

Und dann, eines Tages, kam Rung Long nicht mehr zur Arbeit. Mickey erzählte mir auf meine Nachfrage hin, dass er ihn gefeuert hat, weil er Alkoholiker war und seine Arbeit zu schlampig. Wenn Lung Rong um 08:00 anfing im Garten zu arbeiten, hatte er meist schon einen im Tee. Die Flasche "Lao Khao" hatte er immer dabei (eine Art Thai Schnaps). Es war auffällig geworden und er hat auch nach mehrfacher Aufforderung einfach nicht aufhören können während der Arbeit zu trinken.
Und plötzlich war unsere Zusammenarbeit und das Rauchen von riesigen Zigarren beendet. Einfach so. Puff, weg.
Ein neuer Gärtner kam selbstverständich, und auch der war ganz lustig, aber es war einfach nicht dasselbe. Ich vermisste meinen Rung Rong.

Manchmal am Nachmittag fuhr ich ihn besuchen. Sein kleines Haus war direkt neben dem seiner Eltern. Auch die hatte ich im Laufe der Zeit natürlich schon kennengelernt (Laura sagte, das sei so üblich bevor man heiratet). Ich glaube sie war einfach nur neidisch auf diese wunderschöne Freundschaft. Aber was soll man machen. Haters gonna hate.
Ein Mal war meine Schwester zu Besuch, und gemeinsam fuhren wir zu Rung Rong. Er machte uns eine Suppe mit Ameiseneiern (die er aus den Fußballgroßen Nestern unter höchster Gefahr gesammelt hatte) und weil wir höfliche Menschen sind probierten wir davon. Die Höflichkeit fand jedoch nach nur einem Bissen ihr Ende und wir verabschiedeten uns.
Ein weiteres Mal besuchte ich ihn mit Jan, einem guten Freund aus Deutschland. Wir tranken gemeinsam Whiskey, lachten und rauchten ununterbrochen auf der kleinen Terrasse. Lung Long freute sich über jeden Besuch. Jedes mal. Monsieur Rassisti hatte sich verändert.

Die Gartenarbeit im allgemeinen machte mir langsam aber sicher keinen Spaß mehr und ich fühlte mich irgendwie einsam. Alles machte mehr Spaß, wenn ein zahnloser Mensch neben einem hockt und lacht. Und der war nicht mehr da.
Leider sahen sich Lung Long und ich mit fortschreitender Zeit immer seltener. Bei einem meiner letzten Besuche stellte ich fest, dass sein Bein sehr geschwollen war (auf tatsächliche Baumstammgröße) und ihm große Probleme bereitete. Er humpelte stark, aber er konnte mir leider nicht erklären, was es war. Beziehungsweise, ich konnte es nicht verstehen und ich erinner mich daran, dass es mich damals sehr frustrierte. Ich wollte einfach nur wissen, was Sache war.
Fakt war aber, das es immer schlimmer wurde, von Mal zu Mal. Bis er schließlich fast gar nicht mehr in der Lage war zu laufen. Er saß nur noch da vor seinem kleinen Haus und trank. Und trank. Und trank. Und trank...

Ich lag auf meiner Matratze und war am Dösen, als wieder mal ein Schatten vor mein Fenster trat. Ich sah auf, doch es war nicht Lung Rong der da stand. Es war Bee, unsere alte Putzfrau.
Sie sah mich aus traurigen Augen heraus an. Einer dieser Momente in denen man weiß, das schlechte Nachrichten auf dem Vormarsch sind.
"Lung Long ist gestorben", sagte sie schließlich. Sie wollte mir Bescheid geben, weil sie wusste, wie gut wir befreundet waren. Und weil sie wollte, dass ich bei der Beerdigung anwesend bin.
Sein erster und letzter Farang Freund.
Ich fuhr zum Haus seiner Eltern und versuchte irgendwie mein Beileid mitzuteilen. Auch wenn ich nicht viel sagen konnte; Doch das war in Ordnung. Jeder hatte es verstanden.
Die Mutter führte mich anschließend zu der Stelle im Haus, an der er gestorben war. Eine braune, getrocknete Blutlache zeichnete sich klar von den ansonsten weißen Bodenkacheln ab.
Da war es also passiert. An genau diesem Fleck.
Mit den Bruchstücken die ich von der alten Mutter verstand malte ich mir aus, wie die letzten Momente seines Lebens ausgesehen haben mussten. Das Blut lief ihm wohl aus allen Öffnungen - er erbrach es und schied es aus, wenn ich das richtig verstanden hatte. Mehr wollte und brauchte ich aber nicht zu wissen. Organversagen. Definitiv kein schöner Tod. Und letztendlich wohl dem Alkohol verschuldet.

Es gab eine Trauerfeier im Haus, wo der Leichnam traditionell für ein paar Tage aufbewahrt wurde. Die Verbrennung von Lung Rong fand dann im örtlichen Krematorium statt. Ein letztes Mal konnte man in den Sarg schauen um sich zu verabschieden. Ich stellte fest, dass man ihn nicht sauber gemacht hatte und es war kein schöner Anblick, wenn ich ehrlich bin. Ich wandte mich ab und gesellte mich zu den anderen Gästen - als einziger Farang. Dann wurde sein Körper verbrannt und schwarzer Rauch stieg wie eine Säule hinauf in den blauen Himmel.

Und das war das Ende von Lung Long.

Ich lag da und war am Dösen. Mal wieder. Einige Tage waren vergangen, aber nicht viele. Leider fehlt mir dahingehend die Erinnerung, aber es spielt im Endeffekt auch keine große Rolle.
Ich faulenzte jedenfalls wie so häufig und war fast am Schlafen, als ich auf ein dumpfes Geräusch aufmerksam wurde.
Pock, pock!
Etwas war am Fenster und wollte unbedingt in mein Zimmer, wurde aber vom Moskitogitter daran gehindert.
Pock, pock, pock!
Verwundert sah ich mich um und entdeckte den Übeltäter. Ein fliegender Nashornkäfer versuchte krampfhaft durchs Fenster zu mir zu gelangen. Oder zumindest in mein Zimmer.
Ich lief hinüber und machte das Gitter auf. Sofort kam der Käfer hereingeflogen und landete sachte auf dem Boden. Er lief los - und mir viel ein bemerkenswertes Detail direkt ins Auge: sein Bein hatte eine Verletzung. Der Nashornkäfer humpelte regelrecht.
Es war, zugegebenermaßen, ziemlich absurd. Absurd weil der Käfer mich so sehr an Lung Rong erinnerte. Besonders mit der Beinverletzung.
War es Zufall? Höchstwahrscheinlich schon, aber nicht jeder bei uns war der gleichen Meinung. Ich lief zu unserer Mutter für alles, Maeh Fah, und zeigte ihr den Käfer. Nur aus Spaß erwähnte ich ziemlich beiläufig, dass es ja eventuell Lung Rong sei, der als Nashornkäfer wiedergeboren wurde und mich besucht. Was eigentlich eher als Scherz gemeint war schlug schlagartig um in eine andere Richtung.
"Du hast Recht!" sagte sie freudig erregt und lachte auf.
"Du hast Recht, das ist Long!"
Ganz aufgeregt griff sie nach ihrem Handy und wählte eine Nummer.
"Lung Rong ist hier und besucht Loger!" hab ich nur verstanden, während sie ihrer Freundin die Geschichte von der Reinkarnation übers Telefon ins Ohr brüllte.
"Ja! Ja, wirklich! Chai, Jing Jing!"
Als das Gespräch beendet war, wählte sie prompt eine neue Nummer und erzählte die gleiche Geschichte nochmal. Und dann nochmal.
Ich stand fassungslos daneben und glotzte blöd rum.

Ob nun der Wunsch Vater des Gedanken war, oder ob ich die Reinkarnation meines alten Gärtners und Freunds auf dem Arm hatte, weiß ich nicht. Vielleicht war es einfach nur ein verletzter Käfer, der ins kühle Zimmer wollte. Vielleicht war es Lung Rong, der mir ein Zeichen gab. Es spielt auch keine Rolle, denn auch der Käfer war wenige Zeit später wieder spurlos verschwunden.

Davongeflogen.

An Lung Long denke ich noch öfter. Auch heute noch, zehn Jahre nach seinem Tod. Und immer wenn ich an ihn denke, kommt mir sein bescheuertes, klappriges Moped in den Sinn.
Wie es da steht, unter den Rosenapfelbäumen. Irgendwie in ikonisches Bild. Und eins, an das ich mich auch in zehn, zwanzig oder auch dreißig Jahren noch erinnern werde. Und wie wir fast ins Reisfeld gefallen sind, aber es mit einem Lachen abgetan haben.

Oh Mann.

Ruhe in Frieden mein Freund.
Ich vermisse dich.



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